the GAME - TEST-LAB 05
temporäres Kollaborativ
künstlerischen Leitung, Regie / Installation – artistic direction Thomas J. Jelinek
performer / artists Emel Heinreich
Manami Okazaki
Pete Simpson
music / composition / performing soundscape Martin Siewert
moderation
Thomas J. Jelinek
experts Letizia Chiappini, Robert Glashüttner, Carmen Lael Hines, Margarete Jahrmann,
Ramón Reichert, Johanna Pirker, Katherina Zakravsky, and others …
discours-moderation Christoph Hubatschke
Anna Hirschmann
overvoices Deborah Gzesh
Tina Muliar
Harald Jokesch
morphoPoly Team:
Simone Carneiro (artistic director of documentation)
Natali Glišić (specialist for creative work with children, photographer)
Nora Gutwenger (specialist for creative work with children)
Olivia Jaques (performance, research, administration)
David Kellner (game design and animation)
Jan Lauth (corporate design)
Walter Roschnik (photography)
Robert Zanona (specialist for creative work with children, architect)
KT Zakravsky (concept, executive director)
Dramaturgie / dramaturgy Anna Hirschmann
Video Installation / video installation Peter Koger, Thomas J. Jelinek
Projektionen / projections Peter Koger
Kamera / camera Simone Carneiro
Kurt van der Vloedt
Günter Sadek-Sonnenberg
Live-Stream – Schnitt / edit Michael Loizenbauer
Editing – Pre- & Postproduction Christoffer Koller, KOLLER&KADER
Regieassistenz / directing assistance Linda Fress
Produktion - NOMAD
in Koproduktion mit: WUK – performing arts
unterstützt durch / supported by :
Martin Siewert © eSeL_JOA
CAST
Letizia Chiappini
ist Stadtsoziologin, Forscherin und Beraterin. Sie hat an der Universität Mailand-Bicocca im Rahmen des URBEUR-Programms und an der GPIO-Abteilung der Universität Amsterdam promoviert. Sie ist Mitbegründerin des Kollektivs Slutty Urbanism, das 2021 auf der Architekturbiennale in Venedig im österreichischen Pavillon vertreten war. Seit kurzem ist sie als Gastprofessorin an der TU-Wien in der Lehrveranstaltung "Visual Cultures" tätig. Sie schreibt für verschiedene Medien über alternative urbane Räume und digitale feministische Geographie.
Simone Carneiro
Dokumentation - Morphopoly
Künstlerin mit Schwerpunkt Medien, Druck und Rauminstallation, Collage, Animation, 3-D-Druck und audiovisuelle Performance. Medienarbeit für die UNIDO, Forschung über Kreislaufwirtschaft.
Emel Heinreich
ist 1962 in Istanbul geboren, kam 1989 zum Studium der Theaterwissenschaften nach Wien und absolvierte während ihres Studiums eine Ausbildung am ITL (International Theatre Laboratory, Vienna). Nach ihrer weiterführenden Ausbildung bei Ariane Mnouchkine im Theatre du Soleil in Paris, verschlug es sie nach Indonesien wo sie sich dem Maskentheater, Maskentanz und Maskenschnitzen zuwandte. Seit einigen Jahren ist sie Obfrau des Cocon – Verein zur Entwicklung und Umsetzung von Kunstprojekten. Bewegungstheater und Filmkonzepte sind ihre großen Interessensgebiete.
Carmen Lael Hines
ist Kuratorin, Dozentin und Forscherin am Department für Visuelle Kultur (TU WIEN). Ihre Forschung beschäftigt sich mit Plattformkapitalismus, Gender/Sexualitätsstudien und Theorien der sozialen Reproduktion, die in ihre Arbeit einfließen, die sich unter anderem mit digitaler Empfängnisverhütung, Dating-Apps, Heimautomatisierung, KI und Datenkapitalismus beschäftigt. Als Assistenzkuratorin für Österreichs Beitrag zur Architekturbiennale Venedig 2021 unterstützte sie die Realisierung der Ausstellung "Plattform Österreich" in digitaler, greifbarer und redaktioneller Form und kuratierte die diskursive Programmierung des Pavillons von September bis November 2021. Ihre akademischen, künstlerischen und kuratorischen Aktivitäten wurden u.a. in folgenden Räumen präsentiert: Architekturzentrum Wien, Austrian Cultural Forum New York, Institute for Contemporary Art Graz, Österreichischer Pavillon (Biennale Architettura 2021), Universität Bologna, e-flux Screening Room (NY), Index Foundation Stockholm, u.a. Sie hat einen B.A. in englischer Sprache und Literatur von der Universität Oxford und einen M.A. in zeitgenössischer Kunsttheorie vom Goldsmiths College, University of London.
Anna Hirschmann
geboren 1982 in Bielefeld (D), studierte Visuelle Kommunikation in Hamburg und in der Klasse Kunst und Film bei Thomas Heise in Wien. Sie ist Mit-Herausgeberin und Mit-Autorin des Buches »Wer geht leer aus? Plädoyer für eine andere Leerstandspolitik« (Wien 2015). Von 2014 bis 2017 arbeitete sie als Produktionsassistentin für den Kinodokumentarfilm »Das Fieber« (Regie Katharina Weingartner). 2016 hospitierte sie in der Produktion »Bauernkommentar« im Rahmen der Heiner-Müller Tage am HAU Berlin, und 2018 am Theater Bielefeld bei einer Stückentwicklung von Tobias Rausch. In der Spielzeit 18/19 war sie als Dramaturgieassistentin am Schauspielhaus Wien tätig und 19/20 als Dramaturgin und Produktionsleiterin. In der aktuellen Spielzeit arbeitet sie u.a. als freie Dramaturgin bei »Rand« und »Mehr Zeit für Probleme Folge 3: Enden« im Schauspielhaus Wien und als Autorin für „U.G.A.I. hört die Signale“ im Rahmen des Steirischen Herbst/Kulturjahr Graz 2020.
Christoph Hubatschke
Philosoph und Politikwissenschaftler an der Universität Wien, ist Mitbegründer der transdisziplinären Forschungsgruppe H.A.U.S. (https://h-a-u-s.org/ ) und forscht an der Schnittstelle zwischen politischer Theorie und kritischer Technikphilosophie, mit den Schwerpunkten Soziale Bewegungs/Protestforschung, humanoide Robotik/AI, poststrukturalistische Politik und Techniktheorie. Homepage: http://www.diebresche.org
Margarete Jahrmann
ist Medienwissenschaftlerin und eine international bekannte Künstlerin zu den Themen Aktivismus, Urbanität und Spiel. Sie ist die Designerin zahlreicher Spielkunstwerke, Forschungs- und Spielinstallationen, Performances sowie Ausstellungs- und Stadtspiele. Seit 2006 hat sie eine Professur für Game Design inne und war von 2000-2006 Co-Direktorin der Abteilung Neue Medien und Kunst an der Zürcher Hochschule der Künste. 2013-2016 war sie Lektorin für Playful Ludic Interfaces am Institut Interface Cultures der Kunstuniversität Linz und ist seit 2011 Senior Lecturer für Digital Arts an der Universität für angewandte Kunst Wien. Zurzeit ist sie Forschungsstipendiatin für Überwachung, Memnosyne und Pathosformeln am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZfL) und präsentierte ihre laufenden Forschungen zu inneren und äußeren Datenwellenscans 2017 in der Ausstellung Technopolitics der NGBK Neue Gesellschaft für Bildende Kunst und dem Medienfestival transmediale Berlin.
Olivia Jaques
Forschung, Performance, Orientierung
Interdisziplinäre Arbeit zwischen Wissenschaft und Kunst mit sozialem Fokus, zusammen mit Marlies Surtmann prozessorientiertes Projekt "Performatorium". https://performatorium.wordpress.com/
David Kellner
Animation, Spieldesign
Spezialist für Graphic Novels und Spiele, Animation, arbeitet im ZOOM Kindermuseum.
Peter Koger
Videokünstler, Visualist, Programmierer, Interaktions- und Animationsgestalter sowie universeller Medienhandwerker, hauptsächlich im Bereich Video und perfomative Kunst. Seit 1999 Lektor an der Universität für Angewandte Kunst, Institiut für bildende und mediale Kunst. Gündungsmitglied verschiedener Initiativen zur Förderung der Kunst von VisualistInnen. Mitveranstalter und aktiver Beteiligter an der Equaleyes-Serie. Mitbegründer, Ko-Intendanz und technische Leitung der Mediaopera in der Wiener Rinderhalle.
Jan Lauth
Corporate-, Raum- und Spieldesign
Seit 2000 Dozent für Digitale Kunst an der Universität für Angewandte Kunst, Gründer und aktives Mitglied verschiedener künstlerischer und kultureller Initiativen wie eqauelEyes, mediaOpera, seeLab, Forschung zu multisensorischen und haptischen Designs (piktoHaptik).
Michael Loizenbauer
ist Regisseur, analoger Musiker und digitaler Medienkünstler, lebt und arbeitet in Wien. Er studierte Informatik & Wirtschaft an der Universität Wien, Digitale Medien an der Universität für angewandte Kunst und Regie am Max-Reinhardt-Seminar. Seit 2018 arbeitet er als Doktorand am Peter Weibel Forschungsinstitut für Digitale Kulturen. Sein Forschungsschwerpunkt ist künstliche Intelligenz im Verhältnis zu Kunst und Kultur.
Manami Okazaki
wurde in Japan geboren und ist eine Koloratursopranistin und Performerin. Nach ihrem Studium in Tokio zog sie nach Wien und betrat den Raum der Musik und anderer Formen von Kunst und Kultur. Sie sang eine Vielzahl von Rollen in verschiedenen Besetzungen und Orchestern, wie die Königin der Nacht in der Oper "Die Zauberflöte" von W.A. Mozart oder als Sopransolistin in der "Theresienmesse" von Haydn. Darüber hinaus interessiert sie sich für den Augenblick und liebt das gegenwärtige Gefühl, wenn sie auf der Bühne steht, und weitet ihren Wirkungskreis auf die Theaterwelt aus, so spielte sie die Hauptrollen des Stücks >HIKIKOMORI< in Wien und Luxemburg, und >ANSTOSS< in Österreich. Sie arbeitet auch als Direktorin des Arche-Theaters in Wien.
Ramón Reichert
is a research assistant professor at the Department of Art and Education at the University of Art and Design in Linz. He currently works as a senior researcher and EU-project coordinator. He is the program director of the M.Sc. Data Studies at Danube University Krems, Austria. He works as a researcher with a particular focus on media change and social changes in the fields of theory and history of digital media, history of knowledge and media history of digital cultures, and media aesthetics. He is author of New Media Reader (2007, co-edited), Amateurs in the Web (2008), Big Data (2014, ed.), Social Machine Facebook (2019, co-edited) and Selfie Culture (2021).
Martin Siewert
geboren 1972, lebt und arbeitet in Wien, arbeitet als Gitarrist & Improvisator, aber auch als Komponist in akustischen und / oder elektronischen Kontexten; zahlreiche Kollaborationen, und Kompositionen für Theater, Tanz & Film. Aktuelle Projekte u. Bands u.a.: RADIAN (mit Martin Brandlmayr & John Norman), ALSO (Duo mit Katharina Ernst), TRAPIST (mit Martin Brandlmayr & Joe Williamson), DUO SIEWERT / KLEMENT (mit Katharina Klement), FAKE THE FACTS (mit dieb13 & Mats Gustafsson), THE PEELED EYE (mit Boris Hauf, Steve Heather & Christian Weber)
Pete Simpson
ist ein Sänger und Musiker. Geboren von jamaikanischen Eltern in Huddersfield, England. Er ist ein Vollzeit-Botschafter der LIEBE und ein Entdecker des Lebens. Pete lebt jetzt in Wien als selbständiger Sänger, Musiker und Schauspieler. Zurzeit arbeitet er mit dem Aktionstheater Ensemble In Back to Back Shows im Werk X (The Große Pension Europa Show) Außerdem war er viele Jahre lang als Leadsänger der britischen Soul-Funk-Tanzgruppe The Sunburst Band in London, England tätig. Petes musikalische Karriere hat ihn um die Welt reisen lassen. Er ist ein Kreativer, der liebt was er tut.
Katherina T. Zakravsky
Konzept, Leitung von Morphopoly
Ausgebildete Philosophin, Lehrtätigkeit bis 2012, Performance-, Medien- und Kunstprojekte seit Mitte der 1990er Jahre, seit 2016 Fokus auf Urbanistik, Ritual, Games, Ökologie, Social Design.
2021-22 Projekt "Passenger Diaries" an der Hochschule für Angewandte Kunst Angewandte (INTRA) (mit Lucie Strecker, Mariella Greil, Viktor Fucek u.a.) zu sub-urbanen Subjektivitäten.
Robert Zanona
kreative Arbeit mit Kindern, Modellbau, Architektur
Unabhängiger Architekt und Designer, Eventmanager beim Poolbar Festivals.
www.west68.at
www.poolbar.at
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Das laufende TEST.Labor diskutiert den menschlichen
Hybrid im 21en Jahrhundert
virtual GAME TOWER © nomad .
Die Menschen träumen - wider jede Einsicht - von genialen und schöpferischen Maschinen, weil sie an ihrer eigenen Schöpferkraft zweifeln, oder weil sie es vorziehen, sich ihrer Schöpferkraft zu entledigen, um erst über Maschinen vermittelt deren Nutznießer zu werden. Denn was diese Maschinen bieten, ist zuvorderst das Schauspiel des Denkens,
und die Menschen frönen lieber dem Schauspiel des Denkens
als dem Denken selbst. Intelligenz ist, die Realität zu verändern, nicht sie niederzureissen und aus den Stücken zu rekonstruieren.
Baudrillard
Carmen Lea Hines
Die Gegenwart zeigt deutlich wie nötig neue soziale Konzepte und offene Diskursplattformenen für die Entwicklung zeitadäquater Strategien und Technologien sind. Die Kunst der Gegenwart ist eine kollaborative Praxis, verortet zwischen Wissenschaft, Technologie, politischen Prozessen und sozialen Strategien, aufgespannt in einem partizipativen Netzwerk von Menschen unterschiedlichster Hintergründe.
Das TEST.TUBE.Labor ist ein transdisziplinäres Labor, künstlerischer
Entwicklungsraum, Forum, und offene Diskurs-/Bühne, die seriell, als
Projektzyklus realisiert wird und zum öffentlichen Diskurs stellt.
Das Labor, als eine Plattform für diese kollaborativen Praxen, ermöglichen letztlich Zugang zum kreativen Denken, der Interpretation von Gegebenheiten und Kontexten sowie den Arbeitsmitteln abseits linearer Denkprozesse und Konventionen.
Labor-detailinfo / subscribtion via: lab02[at]fieldtestcorp.com
Chistoph Hubatscke © nomad
Spieltheorien eignen sich nach Flusser zur Beschreibung gesellschaftlicher Prozesse besser als Sozialtheorien, da sie mathematisch formulierbar sind. Das ludische ist dem soziologischen Denken überlegen, weil es härter“ ist und Phänomene exakter zu quantifizieren vermag. Zwar müssen sich Künstler noch nicht sorgen, dass man ihnen ausrechnet, wie inkompetent sie sind, und können sich vorläufig noch auf ihre empirischen Parameter wie ,Intuition‘ oder ,Inspiration‘ berufen“. Und auch Menschen im allgemeinen müssen sich vorläufig noch nicht vorwerfen lassen, dass sie sich für Spiele wie Fußball mehr interessieren als für Spiele wie Dichtung, weil die Fußballkompetenz viel kleiner ist als jene der Dichtung und daher ihrer an Idiotie grenzenden Kompetenz besser entspricht“. Aber für Flusser steht außer Zweifel, dass Kunst eine Art von Spiel ist, dass man an die Malerei oder an das Fotografieren mit den gleichen Kriterien herangehen kann wie ans Kegeln oder an Poker und dass diese Kategorien in Form von Algorithmen ausgedrückt werden können“. Ästhetische Phänomene und ganze Künstler wie etwa Picasso erscheinen gemäß dieser Logik als formalisierbare Größen bzw. Programme, die einen Input prozessieren und vergleichbar einer Bildbearbeitungssoftware zu einem Output transformieren.
Thomas Feuerstein
A quote out of:
>> I’ve seen the metaverse – and I don’t want it <<
by Keza MacDonald
The tech world has been overtaken by the seductive idea of a virtual utopia, but what’s on offer looks more like a late-capitalist technocratic nightmare.
I have spent large portions of my life in virtual worlds. I’ve played video games since I was six; as a millennial, I’ve lived online since adolescence; and I’ve been reporting on games and gaming culture for 16 years. I have been to Iceland for an annual gathering of the players of EVE Online, an online spaceship game whose virtual politics, friendships and rivalries are as real as anything that exists outside its digital universe. I’ve seen companies make millions, then billions from selling virtual clothes and items to players eager to decorate their virtual selves. I’ve encountered people who met in digital worlds and got married in the real one, who have formed some of their most significant relationships and had meaningful life experiences in, well … people used to call it cyberspace, but the current buzzword is “the metaverse”.
The tech world seems to be leaning towards some kind of early 00s conception of wearing a VR headset and haptic suit flying towards your perfect pretend mansion in a soothingly sanitised alternate reality, where you can have anything you want as long as you can pay for it. Look at Mark Zuckerberg’s now-infamous presentation of the future of his company, with its bland cartoonish avatars and emptily pleasant environments. It is the future as envisioned by someone with precious little imagination.
I do not deny that some people want this vision. Ready Player One was a runaway hit. But the metaverse as envisioned by the people currently investing in it – by tech billionaires such as Zuckerberg and Activision CEO Bobby Kotick, by techbro hucksters selling astonishingly ugly generative-art NFTs and using words like “cryptoverse” – can only be described as spiritually bereft. It holds no interest for me.
Virtual worlds can be incredibly liberating. The promise of cyberspace, right back to its inception,
has been that it makes us all equal, allowing us to be judged not by our physical presentation or limitations, but by what’s inside our heads, by how we want to be seen. The dream is of a virtual place where the hierarchies and limitations of the real world fall away.
Anyone who is marginalised in the real world, though, knows that this is not how things go down. Virtual worlds are not inherently any better than the real one. Worker exploitation exists in them – look at World of Warcraft, in which Venezuelans farm currency to sell to first-world players, or Roblox, in which young game developers have put in long hours on unregulated projects for little reward. Misogyny and homophobia exist in them, too – ask anyone who’s ever had the misfortune to sound female on voice chat while playing a multiplayer shooter, or be non-gender-conforming on Twitch. As for racism, well – it is alive and well, and seemingly emboldened, in the digital world.
[ … ]
In the courtesy of Guardian News & Media Ltd.
Tue 25. Jan. 2022 - Keza MacDonald
https://kotaku.com/author/mackeza
Manami Okazaki / Pete Simpson © eSeL_JOA
Digital and analogue on a process level
[…] I argue in favour of distinguishing between the analogue and the digital on a process level. The process model of the digital is the Turing machine, a theoretical apparatus for manipulating symbols. The idea behind the Turing machine is that of a mechanical head that reads and writes, operating on an endless strip of paper. It is this operation of reading and writing that is important, because these two operations have to happen separately. The same symbol on the strip of paper cannot be written and read at the same time, nor is it possible for two separate reading and writing heads to operate concurrently on
the same symbol. The latter is a well-known problem for multi-processor systems, and a solution—different rule-based systems, such as the semaphore mechanism—has been developed [Dijkstra 2001].
On this process level, synchronisation turns out to be a necessity that has to be provided externally.
In analogue systems, however, synchronisation, instead of being a necessity, appears as an emergent effect.
Synchrony is a phenomenon that can be observed in many organisms, as well as in technological artefacts.
In accordance with Ashby’s notion of homomorphic models [Ashby 1974], I regard the swinging metronomes as models
of the phase relations that occur, for example, in finger tapping. In both finger tapping and metronomes two stable states of phase relations appear: anti-phase and in-phase.
[…] Synchrony also appears in intrapersonal settings: think of people clapping their hands in synchronicity. A very interesting study on the subject of intrapersonal synchronisation has been conducted by Lior Noy, who introduced a method from performance and theatre—the mirror game—to the lab in order to systematically investigate coordination, synchronisation,
and improvisation. The mirror game is usually played as a warm-up for improvisers and actors. In the game, usually played by two persons, one is trying to mirror the movements of the other; ideally, who is mirroring whom is not defined.
While synchronised metronomes no longer comprise a sufficient model for the kinds of complex interactions that occur in the mirror game, they may share the same underlying mechanisms. What makes Noy’s experiments so compelling is that they show how—through a method of creative exercise— it is possible to achieve a high degree of coordination while improvising. The study actually showed that, for trained performers, the smoothest motion trajectory occurred during improvisation.
In a further study Noy and colleagues showed that during periods of smooth motion in the mirror game, performers also showed and reported a stronger sense of togetherness. […]
(Reenactments in Kunst / Art /Gestaltung, Design / Wissenschaft, Science
und Technologie / and Technology // Christian Faubel // Salon Digital - Band, Vol. 1)
Letizia Chiappini © nomad
Der Begriff des Spielens ist von besonderer Wichtigkeit:
Der Mensch ist ein Spiel der Natur;
aber dieses Spiel spielt er, und es spielt sich um ihn ab;
und wenn ihm darin mitgespielt wird, wie in den Illusionen der Sinne,
so hat er selbst gespielt, das Opfer dieses Spiels zu sein;
während es ihm gebührt, Herr des Spiels zu sein
und es im Kunstgriff einer Absicht auf seine Rechnung zu nehmen.
...
[Die anthropologische Reflexion] wird den Sinn haben,
den Menschen in dieses bildende Element zu versetzen.
Sie wird also unauflösbar zugleich Analyse der Art sein,
auf die der Mensch die Welt erwirbt
- ihren Gebrauch, nicht ihre Kenntnis -
das heißt, wie er sich in ihr installieren, ins Spiel eintreten und Mitspielen kann, und Synthese der Vorschriften und Regeln,
welche die Welt dem Menschen auferlegt, durch welche sie ihn bildet und in den Stand versetzt, das Spiel zu verstehen.
Michel Foucault / in seiner Einführung zu Immanuel Kants ›Anthropologie‹
über die >Anthropologie in pragmatischer Hinsicht<,
die von Immanuel Kant verfasste
und von ihm selbst 1798 herausgegebene Schrift.
theGAME live SHOW © eSeL_JOA
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Die Grenzen der Menschheit -
Hyperrealität – Revolution und Avatare
Thomas J. Jelinek
Was wir jetzt dringender benötigen als je zuvor ist Kreativität!
Technokratische Versuche mit den vorhandenen Strategien ein sich revolutionierendes System zu bändigen werden scheitern müssen.
Denkräume müssen erweitert, neu geschaffen
und trotz aller Ernsthaftigkeit und gegenwärtig verständlicher Ermüdung, lustvoll genutzt, vor allem von vielen frequentiert werden.
Die Inszenierung des Posthumanismus reicht nicht,
sie muss den sich verändernden Prozessen Ideen
und Konzepte entgegenstellen.
Dazu muss allerdings der konsumistische Passivzustand aufgegeben werden
und die Komfortzone, wie heute gerne gesagt wird, verlassen werden. Nur einpaar Schritte.
Noch muss niemand in den reichen europäischen Ländern sein Leben aufgeben und wie in >Matrix< Proteinpampe aus rostigen Blechbüchsen löffeln um täglich sein bedrohtes Leben auf´s Spiel zu setzen.
Die Analyse, der Diskurs und die Simulation in der Kunst zur Zeit sind die Schritte vor der Handlung.
Wir haben uns bereits zu hybriden Wesen entwickelt die zwischen Simulation und physischer Aktion leben.
Unser Kommunikations- und Handlungshorizont hat sich exponentiell erweitert, wie alle soziale Interaktion sich immer mehr zum theatralen Raum zur Performance mutiert. Die künstlerische Simulation rückt immer näher an die Alltagsrealität. Gleichzeitig polarisieren sich die Machtverhältnisse und die Kontrollmechanismen greifen immer tiefer in unsere Privatsphäre und individuelles Sein.
Wo unsere Grenzen eigentlich liegen lässt sich nicht genau definieren.
Das muss aber nicht nur als Kritik verstanden werden, sie spiegeln unser erweitertes Verständnis der physikalischen und biologischen Prozesse wieder.
Wie es scheint sind wir, die Menschheit, an einem Punkt angekommen wo wir noch nie waren.
Es ist keine Neuigkeit, dass wir uns im fundamentalsten Umbruch der bekannten Menschheitsgeschichte befinden, der auch ein relativ zeitnahes Ende zumindest unserer physischen Existenz haben könnte.
Alle menschlichen Lebensbereiche befinden sich in einer labilen Lage.
Die komplexe Verknüpfung mit den radikal bedrohlichen Entwicklungen der Biosphäre, wie der
Klimaveränderung durch Atmospärenerhitzung
und anderen menschlichen Einflüssen zeigen die emergenten Prozesse unseres Lebenskontexts und geben unseren Entscheidungen existentielle Urgenz. Gleichzeitig müssen wir uns selbst, mit unseren sozialen und politischen Strukturen als emergentes System begreifen, was sowohl Voraussagen als auch individuelle Orientierung schwierig macht.
Anders gesagt: Wir sehen uns einer Revolution allen Menschlichen gegenüber, die sich aus dem Zusammenspiel einer Menge, bislang aus Ignoranz, als einzeln wahrgenommener Prozesse, verdichtet hat.
Sogar die Definition wer wir, was die menschliche Art, was die Welt ist, steht auf vielen Ebenen und global gesehen zur Disposition. Neben den immerwährenden Konflikten um Ressourcen und geopolitischen Kriegen werden wieder massive Kriege um Glaubens- und Definitionsmacht geführt.
Ein schlimmerer Auflösungszustand kann, von einem statischen Betrachtungspunkt aus, kaum vorgestellt werden.
Angesichts dieser hoffnungslos scheinenden Zukunft ist es nur verständlich, dass Menschen Fluchtverhalten zeigen. Im Gegensatz zu den postkolonialen Ausbeutungszonen des Planeten die wir in Afrika, bestimmten Regionen des so genannten Nahen Ostens, Asiens und Südamerikas verorten, bezieht sich das Fluchtverhalten mehr auf die zu erwartende Zukunft als auf die realen unerträglichen Zustände das gegenwärtige Lebens.
FLUCHT und SUCHT
Die Zusammenhänge zwischen Flucht und Suchtverhalten sind bis heute im Kontext von Drogenmissbrauch, Alkoholismus, Spielsucht aber mittlerweile auch Suchtverhalten im Bereich der Nutzung digitaler Kommunikation, die einige der angesprochenen Komponenten verknüpfen kann, tiefgreifend erforscht.
Im Grunde bestätigen sie, die seit der Mitte des 20. Jahrhunderts gezeichneten Visionen dystopischer Zukunfts-Szenarien.
Viele im Cyberpunk entwickelte Science-Fiction Dystopien sind zumindest zu großen Teilen heute Realität.
Das wohl berühmteste der frühen Werke in denen eine hybridisierte Welt beschrieben ist, ist William Gibsons „Neuromancer“ Trilogie aus 1984.
Oder später Snow Crash von Neal Stephenson, in der die handelnden Personen aus einer anarchokapitalistischen Dystopie fliehen in dem sie in das Metaversum - der hochgradig direkten Verknüpfung des Internets mit Massen Multiplayer Online Games - wie es heute bereits Realität ist, durch die sie sich mit Avataren bewegen. Auf Stephenson und Snow Crash gehen angeblich die heutige Bedeutung des Begriffs >Avatar< und der Begriff >Metaversum< zurück.
Dass er zeitweiliger Berater der Firma Blue Origin und Jeff Bezos war und Mitbegründer der Softwarefirma Subutai Corporation etc. ist zeigt nebenbei wie verknüpft auch bereits Science-Fiction und Technologieentwicklung heute sind.
HYPERREALITÄT und HYPERAKTIVITÄT
Auch die medial beschleunigte und manipulierte Wirklichkeit ist kein neues Phänomen des 21. Jahrhunderts.
So schreibt Jean Baudrillard schon 1976, dass wir im Zeitalter der Simulation leben.
In einer Wahrnehmungswelt in der Zeichen und Werte beliebig sind, Arbeit nicht mehr der Produktion dient, der Tod aus dem Leben verdrängt wird. Und beschreibt so vor 45 Jahren die Verschiebung einer Selbst und Kontextwahrnehmung von einer stabilen Vorstellung einer Welt in der sich Schein und Wirklichkeit auseinanderhalten ließ, zu dem Kontext heute, in dem das Reale in der medial erzeugten Hyperrealität aufgegangen ist.
„Heute kippt das ganze System in die Unbestimmtheit, jegliche Realität wird von der Hyperrealität des Codes und der Simulation aufgesogen.“ Jean Baudrillard 1976
Das beschreibt natürlich in erster Linie die zumindest relativ sozial gesicherten Zonen unseres Planeten.
Die Folgerung, dass alle Wahrnehmung eine art virtueller Simulation ist und im Grunde immer schon war,
wird schon seit Platon von vielen vertreten und einigen zeitgenössischen neurologischen Studien bestätigt.
Diese, durch die digital vernetzte Kommunikation materialisierte Vorstellung hat das gegenwärtige Paradoxon, in dem wir gleichzeitig eine in der bekannten Menschheitsgeschichte noch nie da gewesene Kenntnis der komplexen Systemprozesse physikalischer, biologischer, etc. Vorgänge haben,
andererseits diese permanent von Interessensgruppen manipuliert wird und in einen fundamentalen Zweifel zu stürzen drohen.
In gewisser Weise erinnern sich dabei Parallelen zur Entwicklungsphase der Pubertät, die eine nur vorübergehende Handlungsunfähigkeit gegenüber lebensbedrohenden Krisen bedeuten würde.
Das wäre eine hoffnungsvolle Interpretation als Übergangsphase der gegenwärtigen Prozesse.
In der Diskussion über mögliche Zukunften scheint vielen nicht aufzufallen, dass wir schon mitten drin sind
und als hybride Wesen diskutieren.
Es haben mehr Menschen ein Smartphone als trinkbares Wasser. Fast alle Menschen der nördlichen Hemisphäre des Planeten haben Avatare – viele auch schon digitale Begleiter sogenannte Sprachassistenten.
In Deutschland nutzten 2020 bereits 45% Google Assistant, Alexa oder Siri, u.A. beiden den so genannten Digital Natives (18-39 Jahre in der Studie) sind es sogar 59% Tendenz rapide steigend.
(Postbank Digitalstudie 2020)
Eine wachsende Zahl an Menschen vernetzen sich immer intimer mit dem kybernetischen, immer intelligenter werdenden Kommunikationsnetz, arbeiten in on-line-clustern und vertrauen ihre Daten der Cloud an.
Es geht aber noch weiter. So schreibt etwa Yuval Harari in einem Beitrag für die Financial Times,
"Im mittelalterlichen Europa, hatten Priester und Eltern die Macht, den Ehepartner auszuwählen. In einer dataistischen Gesellschaft frage ich Google, auszuwählen."
Unsere Repräsentanten im digitalen Paralleluniversum sind die Avatare.
Mit dem Avatar gleicht sich das menschliche Individuum der „Maschine“ an weil sich auch eine kybernetische“Intelligenz“, ein algorithmisches „Gehirn“ in der Kommunikation mit Menschen nicht anders als in From von Avataren manifestiert. Schon jetzt ist es in manchen Situationen zunehmend schwierig geworden Bots – also künstliche Charaktere und tatsächliche, biologische Menschen in der Kommunikation zu unterscheiden.
Im Alltag kommunizieren wir immer öfter mit kybernetischen Avataren in Helplines oder Support- Hotlines bei Bestellungen oder Installationen. Aber auch untereinander wird immer mehr über solche Avatare kommuniziert,
so wie in den sozialen Medien die Menschen sich als bestimmte Charaktere inszenieren, die meist einer art Idealvorstellung ihrer selbst ikonografisch gestaltet werden.
Sind umgekehrt Avatare eine brauchbare Erweiterung unseres Handlungshorizonts?
Welche Rolle spielen unsere Avatare für uns, welches Verhältnis haben wir dazu?
Haben Sie sich jemals gefragt, was ein Freund, eine Freundin tun würde,
wenn sie in Ihrer Entscheidungssituation wäre? Oder darüber nachgedacht, wohin ein Familienmitglied gehen könnte, wenn es mit Ihnen ein Reiseziel besuchen würde? In vielen Fällen können Sie nur raten, was eine Person
an Ihrer Stelle tun würde. Aber jetzt können Sie sich deren Identität
"ausleihen" und eine Frage mit der Gewissheit stellen, eine relevante und wertvolle Antwort zu erhalten.
Dieses Projekt nutzt ein verteiltes Netzwerk für maschinelle Intelligenz,
um es seinen Nutzern zu ermöglichen, ihren wachsenden digitalen
Fußabdruck zu kontrollieren, ihn in ihre digitale Repräsentation umzuwandeln und ihn als Teil eines sozialen Netzwerks zu teilen.
Das Projekt erstellt ein sich entwickelndes ontologisches Mapping
einer Person auf der Grundlage ihrer digitalen Interaktionen
und ermöglicht es der Person, ihre aggregierte Wissensbasis in Form eines Software-Agenten darzustellen. Dieser Agent kann dann als Chatbot oder sprachbasierter Assistent dargestellt werden. Das Projekt zielt darauf ab,
eine Reihe von "Identitäts-Redering-Kits" zu veröffentlichen,
die es den Nutzern ermöglichen, ihre Wissensbasis schnell in einem Vertrauensnetzwerk zu teilen.
(Werbetext der Firma HUMAN DYNAMICS)
Thomas J. Jelinek © nomad
Thomas J. Jelinek © eSeL_JOA
Neben den freiwillig selbst erstellen Avataren, haben wir aber auch über unsere Datenfährte und Suchmaschinen die ja gleichzeitig Datenschürfinstrumente sind zusammengestellte Datenpakete die uns immer genauer abbilden und ein Datenbild liefert, das dem physischen Individuum einen fast identischen Avatar verkauf und verfügbar auf den Datenbanken abbildet.
Wessen Avatar ist dann z.B. Alexa oder Siri ?
Sind wir bereits am Weg selbst Avatare algorithmischer Steuerungsnetze zu werden?
Auch wenn das nur einen kleinen Ausschnitt der Entwicklungprozesse fokussiert so zeigt sich genau hier ihre politische Brisanz.
Es wird bereits von verschiedenen Seiten laut darüber nachgedacht ob demokratische Prozesse wie Wahlen nicht besser über die Datenprofile automatisiert werden sollten. Die Idee der Demokratie befindet sich in der gegenwärtigen Form zunehmend manipulierter Medienprozesse und Desynchronisierung von Information und Entscheidungsprozessen in einer seiner schlimmsten Krisen. Und es scheint verführerisch diese verhältnismässig schwerfälligen und leicht zu hackenden Prozesse der Entscheidungsfindung durch smarte algorithmusgesteuerte Profilinganalysen zu ersetzen. Aber Politik und Entscheidung ist nicht nur Anpassung an Kommunikationshabits, Geschmack und
Yes – No ohne Feedback.
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Martin Siewert / GAME © nomad
Pinkpink Sorbet at Aleatoric exhibition opening © Tina Muliar
Ausbeutung 4.0: Die Digitalisierung des Menschen
von Mathias Greffrath
Warum sitzen immer noch Kassiererinnen und Kassierer an der Supermarktkasse? Warum laufen immer noch menschliche Roboter
durch die Lagerhäuser? Warum füllen kluge Menschen immer noch langweilige Tabellen aus?“
Ich gebe diese drei Fragen in meinen Laptop ein. Auf Englisch.
Drücke die Return-Taste. In Sekundenschnelle schreibt der Algorithmus des Textgenerators GPT-2, ein Pilotprojekt der Entwicklung künstlicher Intelligenz, das von Elon Musk und Microsoft gefördert wird, meinen Text automatisch weiter: „Warum bleiben diese Rätsel seit 30 Jahren oder mehr ungelöst? Dieser Beitrag wird dazu beitragen, einige dieser Dinge zu erhellen, aber vielleicht auch einige Fragen aufwerfen. ‚Wohin können Menschen arbeiten gehen?‘ Ich meine, wie viele Arbeitsplätze sind nicht auf Technologie begründet? Wir haben einen Anstieg der Zahl der selbstfahrenden Autos erlebt. Aber ist uns nicht allmählich klar geworden, dass es sich dabei eigentlich eher um Ineffizienzen als um Vorteile handelt? Und sie haben nicht wirklich Beschäftigung geschafft…“
Das ist natürlich ein Spiel, aber ein bisschen unheimlich ist das schon. Als GPT-2 mir diesen Text anbot, da hatte ich wieder einmal das Gefühl, dass ich zwanzig Jahre nicht so richtig gemerkt habe, dass da etwas ein Gang gekommen ist, dessen Konsequenzen ich noch nicht begriffen habe – aber wer hat das schon. [ ... ]
hier zum ganzen Text:
https://www.blaetter.de/ausgabe/2021/januar/ausbeutung-40-die-digitalisierung-des-menschen
weitere Texte von Mathias Greffrath auf www.blaetter.de:
https://www.blaetter.de/autoren/mathias-greffrath
Manami Okazaki © eSeL_JOA
"Im Spiel (mit Fäden) geht es um das Weitergeben und In-Empfang-Nehmen von Mustern, um das Fallenlassen von Fäden und um das Scheitern, aber manchmal auch etwas zu finden, was funktioniert, etwas konsequentes und vielleicht sogar Schönes; etwas, das noch nicht da war, ein Weitrgeben von Verbindungen, die zählen; ein Geschichtenerzählen, das von Hand zu Hand geht, von Finger zu Finger, von Anschlusstelle zu Anschlusstelle - um Bedingungen zu schaffen , die auf der Erde, auf Terra, ein endliches Gedeihen ermöglichen."
Donna Haraway / Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene
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PLAN A for »I/motions«
[…] Das bekannte und in vielen Artificial-Intelligence-Anwendungen benutzte
frei verfügbare künstliche neuronale Netzwerk - AlexNet - klassifiziert nach bestimmten Paradigmen, einer Art von Vorurteil folgend, das diesem Netz antrainiert wurde.
Kategorien oder Ereignisse, die während des Trainings nicht gelernt wurden, kann das Netzwerk nicht erkennen – ebenso werden falsche Zuordnungen nicht korrigiert sondern übernommen.
Dieser Umstand zeigt, wie sensibel und delikat der Gebrauch solcher Systeme ist, wenn wir Nutzer*innen im alltäglichen Leben diesen künstlichen neuronalen Netzwerken anthropomorphisierend Vernunft zuordnen.
Eine solche Vernunft ist in unserem humanoiden Verständnis dem Wort Intelligenz inhärent.
Aufgrund dieser Fehlzuweisung unsererseits, gestehen wir den künstlichen Intelligenz-Systemen Entscheidungsgewalt über demokratische Prozesse zu, verteilen Kompetenzbeurteilungen in
Rekrutierungsverfahren und Assessment-Vorgängen großer Firmen auf künstliche Assistenzsysteme und erlauben sogenannten AI-s die Bonitätsvalidierung in Kreditprüfungen von Bankinstituten.
All diese Anwendungsbereiche verdeutlichen die enorme Wirksamkeit der Maschinen auf Entscheidungen, die essentiell für das Leben von Einzelnen sind. […]
(Margarete Jahrmann / PLAN A for »I/motions« / Machines like us, Kat. donaufestival 2020)
playing morphopoly © eSeL_JOA
the GAME © eSeL_JOA
Für Gamifizierung gibt es keine gute deutsche Übersetzung ...
In unserer Gegenwart wird viel über die so genannte Gamifizierung,
über eine Infantilisierung der Gesellschaft gesprochen, gleichzeitig über
einen Ernst der Lage, den wir so noch nicht erlebt haben.
Es gibt auch das globale Spiel, mit allen Global Playern, das wir offenbar
nicht in der Lage sind zu beenden oder zumindest zu verändern.
Wir können offenbar nicht aufhören im permanenten Global Game
andere zu übertrumpfen, auszubeuten zu vernichten, um, ja …
was eigentlich,
besser zu sein, zu gewinnen, Vorteile für sich zu erobern...
Warum können wir uns das Ende der Welt eher vorstellen
als das Ende des Kapitalismus? ... schrieb Mark Fisher, aka k-punk,
der hoffentlich noch vielen ein Begriff ist, und zitiert
Ursula Le Guin irgendwo in seinem Blog:
>> We live in capitalism, its power seems inescapable
- but then, so did the divine right of kings. - Wir leben im Kapitalismus,
seine Macht scheint unausweichlich -
aber das galt auch für das göttliche Recht der Könige. <<
Natürlich haben die Leute die sich gerade auf der Gewinnerstrasse
fühlen einen Tunnelblick entwickelt - ein „klassisches „ Phänomen
wie es sich auch im Casino beobachten lässt,
in dem alles andere als Störung des Rausches aus Adrenalin-Dopamin-Sertonin-etc. empfunden werden muss.
In den Erfolgsverfolgergruppen und im mehrheitlichen Mittelfeld,
ist es doch der Komfort und die noch immer bestehende Möglichkeit der Verdrängung der Probleme an die Aussengrenzen
des eigenen Seins, auch wenn die Mieten und Energiekosten
schon langsam zu würgen beginnen, was die Meisten noch immer am Mitspielen hält.
So setzt sich die Besatzung des Fahrzeugs zusammen
die gnadenlos gegen die Betonwand rast und trotz Wissens um die Konsequenzen, nicht auf die Bremse steigt.
Dabei sein ist eben alles...
T. J. Jelinek
Christoph Hubatschke © eSeL_JOA
What shifts might emerge in theorizations of and debates over
“the human”—as ahistorically specific entity or as nominating a general species difference—if Earth and its variable conditions
no longer form the habitual grounds for these arguments?
To answer this question, I examine two sites proposed by outer space settlement advocates: the surface of Mars, and the interior of a massive, rotating cylindrical space settlement called Island Three.
I argue that these places unsettle habitual critical approaches to the human in outer space by posing radically different conditions through
which to make accounts of the specific and the general, including that of humanness.
Using gravity as both metaphor for significance and a physical quality and quantity that potentiates worlds and experience,
I examine how a variety of problematics
about humans and their histories are fixed—from Earth—in the imaginations of both settlement advocates and their critics, and explore problems for both critical theory and space settlement
advocacy in thinking “the human” through nonterrestrial sites.
I argue that thinking humanness from elsewhere in the cosmos offers new anthropological insights about questions of difference and relation, specificity and universality, Indigeneity and settlement,
ontology and epistemology, and habits of
embodiment on Earth.
David Valentine,
the GAME © eSeL_JOA
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Der >Like< Button, der von facebook ausgehend mittlerweile auf immer mehr Web-Service-Seiten auftaucht, ist in erster Line nicht dazu da um Usern die Möglichkeit positiver Zustimmung zu ermöglichen, sondern um Emotionen zu Quantifizieren und Trends besser und automatisiert,
aus den Daten auslesen zu können.
Der Historiker Yuval Harari schreibt dazu, dass der Liberalismus an dem Tag zusammenbrechen wird, an dem das System mich besser kennt als ich mich selbst, und "...liberale Gewohnheiten wie Wahlen obsolet werden, denn Google wird in der Lage sein, sogar meine Überzeugungen besser zu repräsentieren."
Müssen wir Hybride werden, wie zum Beispiel Elon Musk statet, um inmitten der künstlichen Umgebungsintelligenz nicht überflüssig zu werden?
Eine solche Welt ist nicht mehr von Menschen
bevölkert wie wir sie noch kennen.
Eine andere auch nicht, nebenbei bemerkt.
Wir werden in jedem Fall nicht mehr die sein die wir jetzt sind.
Wer sind wir am Weg zu werden?
Thomas J. Jelinek
Thomas J. Jelinek © eSeL_JOA
TERRA NOVA protocols
Das Anthropozän -
Karl Bruckschwaiger
Bruno Latour – das terrestrische Manifest
In diesem Buch sollen die Klimafrage und deren Leugnung als zentrale politische Position etabliert werden. Ohne zu verstehen, das wir in ein neues Klimaregime eingetreten sind, kann weder die Explosion der Ungleichheiten, die Deregulierungen, noch die Kritik an der Globalisierung oder Rückkehr zu den Schutzmaßnahmen des Nationalstaates verstanden werden.
Die großen Migrationen führen zu einem Ende der Globalisierung, weil die jeweiligen Modernisierungspläne nur mehr für mehrere Planeten verwirklicht werden könnten. Der Boden der Globalisierung beginnt sich zu entziehen, die Vorstellung des Bodens selbst verändert sich grundlegend. Den Migranten wurde der Boden bereits durch Kriege und Klimaveränderungen entzogen, aber auch die alteingesessenen Bewohner verlieren den Kontakt zu Ihrem Boden.
Es ist eine postkoloniale Pointe, das diejenigen von Angst und Panik befallen werden, und ihr Territorium und Lebensweise verteidigen müssen, angesichts der Ankunft derer, die die Beraubung von Grund und Boden ohnmächtig vor einigen Generationen erleben mussten.
Ein allgemeines Empfinden liegt der Panik zugrunde, das es einen allgemeinen Mangel an teilbaren Platz und bewohnbarer Erde gibt oder geben wird.
Wenn es keinen gemeinsamen Raum in der Welt gibt, muss der eigene Boden durch Mauern und undurchlässige Grenzzäune geschützt werden.
Latour unterscheidet zwischen Plus-Globalisierung und Minus-Globalisierung. Die Vertreter der Minus-Globalisierung sind auch Vertreter des Lokalen, für die die Zugehörigkeit zu einem Land, Boden, einer Gemeinschaft, einer Lebensweise und ein bestimmtes Können wichtig ist. Dieses Plus-Lokale möchte die Verbindung zwischen dem Herstellen und dem Konsumieren ohne Umweg über den Weltmarkt aufrecht erhalten.
Die Erde schlägt zurück, oder wie Latour es formuliert, die Erde wird als Akteur zunehmend sichtbar, indem, was man die Folgen des Klimawandels nennen könnte.
Political Fiction Hypothese
Seit Anfang der Achtziger Jahre haben die Eliten diese Warnung verstanden und begonnen, die anderen dafür zahlen zu lassen, indem sie die Last der Solidarität in einer Welle der Deregulierung und des Sozialabbaus abwarfen und seit den Nuller Jahren mit einer Klimaleugnung fortfuhren.
Das ging mit einer Entwertung vieler wissenschaftlicher Erkenntnisse und einer ständigen Leugnung der offensichtlichsten Wahrheiten über das Klima einher. Wenn die Modernisierung vorbei ist, bleiben für die einfachen Leute nur der Nebel der alternativen Fakten. Wenn die Fakten nicht an eine gemeinsame Welt oder Öffentlichkeit gebunden sind, können die Medien den Glauben an die alternativen Fakten beklagen, hilft es den Leuten nicht, die faktisch in den alternativen Welten (Prekariat, Flüchtlingslager usw.) leben.
Die Vektoren Latours
Auf dem Weg der Modernisierung gab es im politischen Feld den allgemeinen Vektor der vom Lokalen zum Globalen verlief. Was auf diesem Weg aufgegeben werden musste, war das Lokale, die Heimatregion, die althergebrachten Traditionen und die Gewohnheiten, um endlich in der Moderne anzukommen. Im Bereich der Ökonomie war die politische Rechte für die Freiheit der globalen Märkte, die politische Linke eine Art Aufhalter der allzu freien Märkte. Im Bereich der Sitten und Traditionen gab es eine gerade umgekehrte Zuordnung von Rechts und Links. Mit dem Auftauchen der Minus-Globalisierung, also die negativen Folgen der globalen Märkte und Verschiebungen von Produktion und Menschen im globalen Maßstab, wurde das Lokale wieder attraktiv. Es mutierte aber zu einem Minus-Lokalen, wo der Schutz, die Identität und Sicherheit innerhalb nationaler Grenzen zum Wichtigsten wurde.
Jetzt ist ein dritter Attraktor aufgetaucht, der der Richtung des ersten Vektors diametral entgegengesetzt ist, das Terrestrische.
Um diesen Attraktor sichtbarer zu machen, ihm die Bedeutung zu geben, die er von der politischen Aufmerksamkeit verdient hätte, tauchte auf der Gegenseite die Negierung des Klimawandels auf, als Außererdiger Attraktor. Die Regierung Trump ist erste, auf die Ökologie fokussierte, Regierung, wenn auch im Modus der Zurückweisung.
Das Terrestrische ist ein neuer politischer Akteur, der nicht mehr Hintergrund und Dekor des menschlichen Handelns ist, sondern ein Wirkfaktor, der unmittelbar auf das menschliche Handeln reagiert und etwas von uns verlangt, uns beherrscht.
Wir können das Territorium nicht mehr einfach besetzen, sondern der Raum wird zum Teil unserer Geschichte, aus der menschlichen Geschichte wird durch Wirkung des Terrestrischen die wirkliche Geogeschichte.
Trotzdem ist der dritte Attraktor schwer zu erkennen, denn er ist allen sowohl bekannt und zugleich vollkommen fremd. Denn mit der Erde lebten bisher nur einige Altvordere und Traditionalisten wirklich zusammen, die Modernen betrachteten die Erde nur als Kulisse des menschlichen Handelns.
Das Holozän wies noch alle Merkmale eines Rahmens für die Menschen auf, das Anthropozän nicht mehr, obwohl nach dem Menschen benannt ist. Hier betritt die Erde wieder die Bühne und macht den Schauspielern die Hauptrolle streitig. Die Menschen sind aber mit einer Rolle betraut, die zu groß ist für sie. Manche wollen die Erde retten, aber will die Erde die Menschen retten?
Der ökologischen Bewegung ist es in letzten Jahrzehnten gelungen, viele Themen und Objekte zum politischen Streitthema zu machen, die vorher nicht zu den Gegenständen der Politik gehörten. Kein Entwicklungsprojekt bleibt ohne Protest und kein Vorschlag ohne Einspruch. Latour sieht die grünen Parteien noch zu sehr aufgerieben im Recht-links-Schema, und damit vorläufig als gescheitert an.
Welche Allianzen würden sich ergeben, wenn das Lokale und das Globale sich zum Terrestrischen hin neu orientieren müssen. Ein Zufluss an politischer Energie aus dem Bereich des Lokalen wäre denkbar, weil die Zugehörigkeit zu einem Boden, die Sorge um ein Stück Erde und die Bindungen an dieses würden dem Terrestrischen durchaus entsprechen.
Es gibt aber auch Differenzen, denn das Terrestrische hängt zwar an der Erde, ist aber auch welthaft in dem Sinne, dass es sich mit keiner Grenze deckt und über alle Identitäten hinausweist.
Das Terrestrische braucht Akteure und Wissenschaftler.
Die Akteure haben keine Distanz zur Erde als Umwelt. „Wir verteidigen nicht die Natur, wir sind die Natur, die sich verteidigt.“
Die Wissenschaftler haben uns all das Wissen um das neue Klimaregime verschafft, aber auch sie brauchen eine neue Ausrichtung, eine neue libido sciendi. Denn sie sind vom Blick auf die Erde vom Universum aus fasziniert, sie betrachten die Erde als galileisches Objekt. Diese moderne Pflicht, die Erde aus den fernsten Fernen zu erreichen, steht im Widerspruch zu der alltäglichen Praxis der Wissenschaft in ihren Laboratorien, mit ihren Instrumenten, in ihren Feldforschungen, wo sie fest auf irdischen Boden stehen.
Die Erde als System zu betrachten, wo die Lebewesen an den chemischen und geologischen Prozessen teilnehmen, war die Absicht von James Lovelock und seinem Gaia-konzept. Hier wird die Erde nicht mehr nur als Produktionsfaktor betrachtet, wo das Lebensrecht und die Ansprüche der meisten Lebewesen wegfallen.
Eine Art von Ausweg sieht Latour darin, in einer neuen Bestandsaufnahme der Natur einzutreten und er versteht darin das neue Interesse an der Lektüre von Humboldt, der sich den Rätseln der Zahl und Natur der wirkenden Wesen stellte.
Jürgen Renn / Bernd Scherer – Das Anthropozän
Deborah Danowski / Eduardo Viveiros de Castro – In welcher Welt leben?
Der Untertitel des Buches lautet: Ein Versuch über die Angst vor dem Ende,
der portugiesische Titel lautet: Ensaio sobre os medos e os fins,
was ich übersetzen würde mit: Versuch über Ängste und Enden
tatsächlich resümiert das Buch verschiedene Vorstellungen über das Ende der Welt, die angesichts der planetaren Klimakrise eine ganz andere, beklemmende Plausibilität bekommen haben.
Es geht also um die Angst, das der Mensch seiner eigenen Zukunft ein Ende bereitet. Die Ankunft dieser Zukunft, der Paul Crutzen und Eugene Stoermer den Namen Anthropozän gegeben haben, leitet eine neue geologische Epoche ein, die das Holozän seit der Industriellen Revolution ablöst und seit dem Zeiten Weltkrieg immer intensiver Gestalt annimmt.
Diese neue Epoche ist zugleich das Ende der Epochalität, was unsere Spezies betrifft, denn das Anthropozän kann nur nach unseren Verschwinden einer anderen Epoche Platz machen. So bleibt das Anthropozän unsere Gegenwart mit einer Zukunft, die die ständige geophysikalische Drohung unseres Verschwindens beinhaltet.
Für die aktuelle Krise wurden von Wissenschaftlern des Stockholm Resilience Center 2009 in neun geophysische Prozesse des Erdsystems identifiziert, bei deren Überschreitung von Grenzen sich unerträgliche Umweltveränderungen einstellen werden.
Es sind dies: Klimawandel, Übersäuerung der Ozeane, Ozonverminderung in der Stratosphäre, Konsum der Süßwasservorräte, Verlust der Biodiversität, die Einmischung der Menschen in die globalen Zyklen von Stickstoff und Phosphor, Veränderung in der Bodennutzung, chemische Belastung, von den Aerosolen verursachte atmosphärische Verunreinigung.
Sobald in einer dieser Prozesse eine bestimmte Grenze überschritten ist, haben alle dasselbe Risiko. Die Elastizität (Resilience) ist nicht unbegrenzt, die Natur ist nicht unverwüstlich oder unendlich robust (resilient).
Viveros de Castro und Danowsky referieren am Anfang bekannte Autoren wie Latour und Dipesh Chakrabarty und deren Vorstellungen vom Wiedereindringen Gaias in die menschliche Welt, in dem Moment wo der Mensch vom biologischen Agenten zum geologischen Faktor aufgestiegen war. Damit wird das System Erde nach der vermeintlichen Überwindung der unmittelbaren Abhängigkeit des Menschen von ihm wieder zum historischen Subjekt und Handlungsträger in einem viel umfassenderen Stil, als je vermutet. Denn unsere politische Ohnmacht, mit dieser Einmischung Gaias umzugehen, ist größer als das urzeitliche Erschrecken vor meteorologischen Phänomenen, und das trotz wissenschaftlicher Einsicht in viele Prozesse der Erde. Zwar haben wir uns nach Darwin schon an objektive Endlichkeit unserer Spezies gewöhnt, dennoch nicht gelernt das Ende als ein Nahes zu denken.
Welt ohne uns
Wir können von einer Welt ohne uns, das heißt einer Welt ohne die Spezies Mensch, ausgehen, oder von einem „Wir ohne Welt“, einer weltlosen Menschheit nach dem Untergang der Welt. Alle möglichen Varianten werden in der Literatur und im Film des öfteren durchgespielt.
Die Autoren kennen auch die Version einer Welt vor uns, einer Spiegelung des Ende in einen Anfang, einen Garten Eden oder einer Wildnis, die dem denaturierenden Zugriff der Menschheit entzogen ist.
Den zunehmenden Verlust von Welt in einem sich abschließenden Subjekt thematisieren die sogenannten spekulativen Realisten wie Quentin Meillassoux und Ray Brassier, die die wechselseitige Bedingtheit von Denken und Sein behaupten. Das ist die Idee, der zufolge wir nur einen Zugang zur Korrelation von Denken und Sein haben, und in keinem Fall zu einem der beiden Termini in isolierter Form, so Meillassoux. Dazu bedienen sie sich des Gedankenexperiment der Welt ohne uns, um den Vorrang der Welt vor dem Denken dieser Welt durch uns zu demonstrieren. Aber das Denken und das Sein sind so ineinander verschränkt, das die Materie jenseits der Korrelation träge und tot sein müsse. Damit wird der Anthropozentrismus durch die Hintertür wieder eingeführt.
Zu den Filmen und Buchbeispielen kann ich nur sagen, das ich keinen davon gesehen oder gelesen habe, weder Melancholia von Lars van Trier, noch Abel Ferraras 4:44 Last Day on Earth oder Bela Tarrs Turiner Pferd.
Einer Spielart nach dem Schema „Menschen ohne Welt“ wird mit den Singularisten und Akzelerationisten nachgegangen, für die das Anthropozän in ein neues posthumanes Zeitalter führt, das nur durch einen extremen technologischen Sprung erreicht werden kann. Dabei wird die Verbindung des Menschen mit einer ersten Natur komplett gekappt, und nur mehr von transgenetischen Gemüsekulturen, Hydrofracking, große hydroelektrische Projekten, Geoengineering und ähnliches gesprochen.
In ihrer Begeisterung für die Selbstabschaffung des Menschen nehmen sie an, das im Anthropozän selbst den Menschen obsolet gemacht oder transformiert oder komplett ersetzt werden wird.
Vom posthumanen zum posthumen Zeitalter der Maschinen.
Das die Umweltschützer und Ökologen für die Akzelerationisten nur die Entfesselung der Produktivkräfte aufhalten, zeigt wie verkommen dieser Zweig einer angeblich marxistischen Geschichtsphilosophie ist. Einer wie Alain Badiou träumt diesen Traum einer von De-Humanoiden denaturalisierten Natur mit, und beschuldigt Peter Sloterdijk die Ökologie als Opium für das Volk darzubieten.
Eine Welt aus Menschen
Im zweiten Teil des Buches beschäftigt sich Viveiros mit den Vorstellungen der indigenen Völker Amerikas, die die Beziehung zwischen Menschheit, Welt und Geschichte anders und man möchte fast sagen ungleich ernster formulieren.
Es beginnt mit einem bestimmten Schöpfungsmythos, der bei den indigenen Völker weit verbreitet ist, der einen Anfang formuliert, wo das menschliche Sein vorrangig ist und sich in die Welt verwandelt, mit spannenden Konsequenzen für den weiteren Umgang mit der Welt.
Der Anfang der Zeiten wird von den Aikewara, einem Tupi-Stamm, in dem Satz formuliert: Es gab nichts auf der Welt, nur Menschen und Schildkröten.
Nach einer Reihe von Wechselfällen verwandeln sich Teile dieser ursprünglichen, erstgeborenen Menschheit auf spontane Weise oder infolge einer Aktion des Demiurgen in biologische Arten, in geographische Elemente, meteorologische Phänomene und Himmelskörper, die den aktuellen Kosmos ausmachen. Der Teil, der sich nicht verwandelt hat und im Wesentlichen gleich geblieben ist, ist die historische oder gegenwärtige Menschheit.
Das Intervall zwischen der Zeit des Ursprungs und dem Ende der Zeiten, das ethnographische Präsens oder die Gegenwart, ist eine Epoche in der die präkosmologischen Wesen ihr unaufhörliches Anders-werden, ihre anatomische Plastizität zugunsten von stabileren Zuständen einstellen. Am Ende der Zeit der Transformationen nehmen die anthropomorphen Instabilitäten der Anfänge die körperlichen Formen und Gewohnheiten der Tiere, Pflanzen, Flüsse und Berge an, zu denen sie inzwischen geworden waren.
Das anthropomorphe Multiversum gebiert die Welt, wobei die Menschen die Substanz sind und die Natur die Geschöpfe. In dieser Mythologie gibt eine kannibalistische Komponente, denn die Nahrung der Menschen besteht aus menschlichen Seienden, die in Tiere und Pflanzen verwandelt worden sind. Man begegnet den Tieren und anderen Lebensformen als Typen von Personen oder Völkern, als politische Entitäten.
Die indigene Praxis legt Nachdruck auf die regulierte Produktion der Verwandlungen, der Schamane ist hier ein kosmischer Diplomat, der die Gegenwart reproduziert und chaotische Vervielfältigungen verhindert. Die Gefahr besteht darin, das die ehemaligen Menschen eine menschliche Virtualität hinter der aktuellen tierischen, pflanzlichen oder kosmischen Erscheinung bewahren. Die Menschheit in ihnen als das Unbewusste des Tieres droht ständig durch die Löcher einzudringen, die sich im Gewebe der heutigen Welt öffnen (Träume, Krankheiten, Jagdunfälle) und führt dazu, dass die Menschen vom präkosmologischen Substrat aufgesogen werden.
Die theomorphe Maske des Tanz-Geistes ist ein Hinweis auf diese ursprüngliche Virtualität und die chaotische Kommunikation im anthropomorphen Multiversum.
Dieser Betrachtungsweise, das die Tiere zwar keine Menschen für uns, aber Menschen für sich sind, gibt Viveiros den Namen „amerindischen Perspektivismus“ oder Anthropomorphismus, den er einem europäischen Anthropozentrismus gegenüberstellt.
Der Anthropozentrismus behandelt den Menschen als tierische Spezies mit einem transfigurativen Zusatz.
Das Ende der Welt bei den Indios bedeutet nicht unbedingt das Ende der Menschen, obwohl die Zerstörung der Welt auch die Zerstörung der Menschheit einschließt, wird die neue Welt wieder aus den neu entstandenen Menschen erschaffen werden.
Die Menschheit ist konsubstantiell zur Welt.
Zwar sind in den Mythologien der amerikanischen Indios periodische Apokalypsen die Regel, aber die zunehmende und gewaltsame Zerstörung ihrer Lebensräume erzeugt einen Ton von entschieden pessimistischer Dringlichkeit.
Dazu sagt der Yanomami David Kopenawa:
„Bald, nach dem Tod der letzten Yanomami-Schamanen, werden die bösen Geister sich des Kosmos bemächtigen, der Himmel wird herabstürzen und wir werden alle vernichtet.“
Kopenawa lässt die Möglichkeit zu, das auf lange Sicht eine andere Menschheit auftauchen wird, aber die aktuellen „weißen Esser der Erde“ werden mit den Indigenen verschwinden.
Viveiros diskutiert noch eine Weile die Unterscheidung von Erdverbundenen und Modernen bei Bruno Latour, und wie die Erdverbundenen als Enteignete und Besiegte gelernt haben zu überleben. Damit können die Erdverbundenen für den überlebenden Teil der Menschheit, die alle Enteignete und Besiegte sein werden, zum Modell werden.
Die Erdverbundenen sind wenige, aber ihre geringe Zahl wird dadurch ausgeglichen, das sie viel Welt haben, mit der sie in Verbindung stehen.
Ellis, Erle - Anthropocene: A Very Short Introduction
Als ein Professor für Geographie und „environmental systems“ in Maryland, Baltimore County konzentriert sich Erle bei seiner Definition von Anthropozän mehr auf die feststellbaren Veränderungen der Umwelt durch den Menschen, die die Geologie und Archäologie in ihren stratographischen Analysen feststellen können. Durch die Betrachtung der Erde als ein System werden natürlich auch Faktoren des Klimas, des Land- und Wasserverbrauchs, des Wechselkreisläufe von Stickstoff oder CO² stärker thematisiert.
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